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Bericht aus der Gutachtenspraxis:
Schaden einer TK-Anlage
Dipl.-Ing. H. Kropp
Besichtigung einer TK-Anlage, aufgrund Fehlerdiagnose des Lieferanten: Überspannung.
Hier: Darstellung der Frust des Gutachters.
A. Grund des Schadens
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Die beschädigte Telefonanlage war bei der Besichtigung bereits abgeschaltet und
von Amts- und Nebenanschluß- Leitungen sowie vom Stromnetz getrennt. Die neue
TK-Anlage war bereits in Betrieb.
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Das bedeutet, dass eine betriebsmäßige Prüfung, ob die
Telefonanlage noch funktioniert oder tatsächlich durch
Überspannung (irreparabel) beschädigt ist, nicht möglich war.
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Eine Wiederherstellung des Zustandes unmittelbar nach Schadeneintritt
würde aufwandsmäßig daher einer Neuinstallation
der Telefonanlage entsprechen und wäre m. E. nach unverhältnis�mäßig;
außerdem müßte für diese Prüfung das gesamte Netz des
Kunden von der neuen auf die alte Anlage wieder zurück� geschaltet werden,
das heißt, der Kunde könnte in dieser Zeit nicht telefonieren.
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Außerdem war die ursprüngliche Installation rund um die Anlage, wie Verteiler,
Schutzbauelemente, Netzanschaltung usw. nicht mehr vorhanden bzw. bereits für
die neue Telefonanlage verwendet worden und das übrige an Installation abgebaut.
Hier wären ggf. auch Feststellungen möglich gewesen.
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Eine Untersuchung des Backpanels, des Netzger�tes und einiger Leiterplatten der
Anlage ergab keinerlei optische Anzeichen von zerstörenden Überspannungen,
die da üblicherweise sind: verbrannte Leiterbahnen, Spuren von Überschlägen,
zerstörte oder beschädigte Schutzbauelemente etc.
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Das muß aber nicht bedeuten, dass keine Zerstörung von wesent�lichen Bauelementen,
wie integrierten Schaltungen, stattgefun�den hat, diese wäre nicht unbedingt
optisch sichtbar.
Sie lassen sich nicht optisch, sondern nur durch einen Test z.B. der Leiterplatten
(in der Anlage 59 Steckkarten) erken�nen.
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Dieser Test kann jedoch nicht mit einfachen und in jedem Labor vorhandenen
Mitteln durchgeführt werden. Dazu bedarf es des speziellen LP-Testautomaten
des Herstellers. Die Leiter�platte wird in diesen Automaten gesteckt und ein
vorbereitetes Programm prüft die wichtigsten Funktionen der Leiterplatte.
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Ich selber habe bei einer Telefonanlage eines Herstellers so einen Test ausführen
lassen. Es hat jedoch sehr lange gedauert, bis der Ort des Automaten im Konzern
und der Mitarbeiter, der diesen noch bedienen konnte, festgestellt und die
Erlaubnis erteilt wurde, das Ger�t zur Diagnose zu benützen.
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Erst aufgrund einer derartigen Diagnose kann dann der SV sagen, der festgestellte
Fehler könnte (unwahrscheinlich, wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich) von einem
Überspannungs�einfluß stammen. Dies, wie gesagt, wenn keine optischen Schä�den erkennbar
sind.
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Die Schadensursache "Überspannung" stammt vom Lieferanten der neuen Anlage. Dieser
wäre daher aufzufordern, diese Diagnose zu begründen z. B. wie folgt:
- wieso erfolgte diese Diagnose
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welche Teile / Baugruppen / Leiterplatten wurden als überspannungsbeschädigt
ermittelt (genauer Ort in der Anlage, Bezeichnung, Seriennummer)
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wenn der Schaden nicht optisch sichtbar ist, wie wurde
die Beschädigung ermittelt (Test der Leiterplatten o. Ä.)
(Anmerkung: der Hersteller gab keinerlei Auskunft dazu.)
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Alle 59 Leiterplatten vor Ort optisch zu prüfen, hätte unverhältnismäßig lange
gedauert und wurde aus Kostengründen nicht vorgenommen.
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Überspannungsschäden haben üblicherweise externe Ursachen. Diese festzustellen,
wäre Voraussetzung für die Diagnose.
Also:
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Wurde ein Blitzgutachten (von BLIDS o. Ä.) eingeholt,
fand ein Gewitter zum Schadenszeitpunkt statt?
(Anmerkung: Es gab kein Gewitter zum Schadenszeitpunkt.)
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Fanden im Netz des Energieversorgers von Bad Cannstatt
Umschaltvorgänge udgl. statt?
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Nicht so recht zur Diagnose "Überspannungsschaden" passt die Aussage des Personals
des Kunden, nach Schadenseintritt hätten noch alle Anzeigelampen (Netzteil, Baugruppen)
geleuchtet.
Eine erg�nzende Prüfung vor Ort hat ergeben, dass alle Sicherungen der diversen
Netzteile noch intakt waren.
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B. Schadenhöhe
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In der Telefonanlage befanden sich bei der Besichtigung mehrere Baugruppen, die
außer Betrieb waren, mit "alt" gekenn�zeichnet bzw. durch ein
"X" als nicht betriebsbereit gekenn�zeichnet waren. Ferner wurde
in einem der Schränke ein Zettel vorgefunden mit dem Text: "LP-KSZ2
LP-KBZ-2 versuchsweise gesperrt 15.09.1998 / 20:45"
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Außerdem wurde festgestellt, dass die Telefonanlage als Abla�gerplatz
für Ersatzteile und Zusatzgeräte diente.
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Aus diesem Grund war es nicht möglich, den aktuellen Ausbau- und
Konfigurationszustand der Anlage zu ermitteln, der für die Preis- /
Schadenshöheberechnung erforderlich ist.
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Ob Endgeräte auch durch Überspannung beschädigt wurden oder nur der
Zentralenschrank, ist ungeklärt. Mir wurde jedenfalls nur der Zentralenschrank
gezeigt, Rechnungen für Endgeräte in der Neuanlagen-Anschaffungsrechnung wären
demnach herauszustreichen.
C. Neu- und Zeitwert
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Die beschädigte Telefonanlage Typ XYZ hat nach Angabe des Personals des Kunden
folgende Geschichte:
- Mietanlage ab 1989,
- wegen Erweiterung 1995 Mietvertragsver�längerung bis 2003,
- ab 2003 als Eigentumsanlage
- Schaden in 11.2007: Totalausfall.
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Daher sollten von der Verwaltung des Kunden die aktuellen Vertragsunterlagen
der Telefonanlage zur Verfügung gestellt werden, da der Kaufpreis / Objektwert
aus der Konfiguration ermittelt werden muss:
- alter Mietvertrag,
- seinerzeitiger Kaufvertrag,
- Erweiterungen soweit vom Schaden betroffen
- Wartungsvertrag
(Anmerkung: Derartige Unterlagen waren vom Kunden nicht mehr zu bekommen.)
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Die Telefonanlage ist somit ca. 18 Jahre alt, das heißt, ein Zeitwert
wird wohl schwerlich ermittelbar sein, der Restwert wird wahrscheinlich wesentlich
geringer sein als die Entsorgungskosten.
Für das Jahr 1989 gab es letztmalig noch eine "Post-Preis�liste", sodass der
Restwert in % des Neuwertes berechenbar wäre.
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Es ist wahrscheinlich, dass es beim Lieferanten keine Ersatzteile mehr für eine
derart alte Anlage gibt.
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Einen Anhaltspunkt kann der Anschaffungswert der bereits in Betrieb genommenen
neuen TK-Anlage geben. Eine Wertermittlung anhand der Konfiguration der alten
Anlage wäre (mit den oben erwähnten Unsicherheiten) prinzipiell möglich.
Ob anläßlich der Errichtung der neuen TK-Anlage Erweiterungen Umstellungen
oder Zusätze vorgenommen wurden, konnte nicht ermittelt werden, der Kunde
gab dazu keine Auskunft.
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D. Zusammenfassung
Es ist die anscheinend die Regel, dass ein TK-Anlagen-Sachverständiger erst dann
eingeschaltet wird, wenn der Schaden schon (restlos?) beseitigt ist.
Dann soll der Sachverständige präzise alle Details des Schadens ermitteln;
am einfachsten wäre es für den Versicherer, wenn der Sachverständige die bereits
getätigte Neuanschaffung als 100%igen Ersatz der alten Anlage "absegnet"
(und selbstverständlich für alle Preisangaben persönlich 30 Jahre lang haftet).
Unterlagen der Telefonanlagengeschichte waren nicht erh�ltlich. Auskünfte des
Herstellers zu obigen Fragen ebenfalls nicht. Es konnte auch nicht geklärt werden,
ob lediglich der Prozessor der Anlage "abgestürzt" war und ein Hochfahren der alten
Anlage noch möglich gewesen wäre.
Es bleibt der Versicherung somit nur, ihrem guten Elektronik-Versicherungs-Kunden eine
Schadenregulierung auf Kulanzbasis anzubieten (und hoffentlich dem SV seine Aufwendungen
zu ersetzen).
P.S.:
Es soll ja schon Versicherungen und mit ihnen assozierte Gutachter geben,
die derartige Schadenfälle per Formblatt vom Schreibtisch weg erledigen, die
Schadensursache "Überspannung" ist darin schon vorgedruckt mit "Nein" enthalten....
k / s
02.2008
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